Ich habe mich wirklich auf die dritte re:publica in Berlin gefreut. Grossartige Redner (Lawrence Lessig, Jimbo Wales, Peter Schaar und Peter Glaser), ein tolles Ambiente (Friedrichstadtpalast, Kalkscheune) und herrliches Wetter. Dazu endlich mal eine Konferenz, wo man mal was Neues erfährt und nicht nur akademische wissenschaftlich fundierte und von Zitaten und Quellangaben überbrodelnde nichtssagende Vorträge. Ich dachte die innovativen Köpfe der deutschen Web 2.0 Szene werden neue Ideen und Wege zeigen, über die es zu denken lohnt. Was wirklich geschah (aus meiner subjektiven Sicht), will ich hier ganz kurz schreiben bloggen.
Die Organisation war, gelinde gesagt, ne halbe Katastrophe…leider. Das WLAN ging die ganze Konferenz fast gar nicht (Der Running Gag der Konferenz – WLAN geht gleich). Da jeder zweite Teilnehmer iPhone oder G1 oder UMTS-Stick hatte, war das UMTS Netz auch überlastet. Also ging fast drei Tage gar nix, sehr bedauerlich. Der Zeitplan ist auch oft aus dem Ruder gelaufen und fürs Essen musste man selbst sorgen (was für den Preis aber absolut in Ordnung war und auch kein Kritikpunkt darstellen soll. Ich liebe die Berliner Currywurst.).
Die Stars (Lessig, Wales, Schaar) waren gut bis sehr gut. Leider hat fast keiner von ihnen was Neues erzählt. Wer die alten Youtube-Videos aller gesehen hatte, hätte sich die Zeit sparen können. Die anderen Redner, die ich gesehen hatte, waren manchmal enttäuschend (oft krankte es aber am fehlenden WLAN) oder brilliant. So ist es aber immer auf Konferenzen.
Die Highlights waren für mich Peter Schaar und Peter Glaser und die ganz tolle Augmented Reality Vorführung von Martin Lechner und natürlich Jimbo Wales und der immer gute Lawrence Lessig. Leider waren bei allen Rednern kaum was Neues zu erfahren, aber wer die Vorträge nicht kannte, hat was verpasst.
Peter Schaar hat über den Datenschutz noch einmal vorgetragen und auch das aktuelle Beispiel Mehdorn erwähnt. Er bemängelte die fehlende Befugnis des Datenschutzes in Deutschland. Meist kann er nur hinweisen, aber einschreiten kann der Datenschutz bei uns nicht. So werden Datenschutzverletzungen meist viel zu spät gestoppt und/oder von nicht geschultem Personal verfolgt. Auch sollte der Datenschutz ins Grundgesetz aufgenommen werden, was aber nicht näher ausgeführt worden ist.
Beim Wikipedia Gründer Jimbo Wales Vortrag gab es zwei sehr interessante Aussagen. Zum einen fand er die deutsche Wikipedia qualitativ hochwertiger als die englische. Das kann ich auch nur bestätigen, nachdem ich mein Medienkompetenzkurs ins englische übersetzt habe und etliche Begriffe in der dortigen Wikipedia nachlesen musste. Zum anderen wurde über die Integration von Realtime Daten (Twitter) in die Wikipedia nachgedacht, was aber Wales diplomatisch als überflüssig ausdrückte. Hier zeigt sich, was der Hype um Twitter und Co wirklich bedeutet. Als nachhaltige hochwertige Information sind Twitternachrichten nicht geeignet, was aber Microblogger nicht gerne lesen wollen.
Lawrence Lessig war wie immer genial und man sollte seinen Vortrag geniessen. Leider ist die Qualität nicht die beste und leider gabs auch nicht richtig was neues zu erfahren, aber der Vortrag war toll.
Ein kleines Highlight war der Augmented Reality Vortrag über Wikitude. Ich will auch ein G1 Handy. Das iPhone hat leider keinen Kompass, daher geht die Anwendung nur mit dem Android Handy.
Peter Glasers Vortrag über „In was für einer digitalen Gesellschaft wollen wir leben?“ kann man Wort für Wort in seinem Blog nachlesen oder den Stream auf Make.tv anschauen. Ich fand den Beitrag gut, aber nicht brilliant. Leider wurde er mehr gefeiert, als kritisch hinterfragt. Dies war auch das Grundproblem der gesamten re:publica, wo wir dann bei den Kritikpunkten wären.
Was will die re:publica? Wozu ist sie da? Wer trifft sich dort? Wer soll zuhören? Was ist die Aussage?
Im dritten Jahr sollte die Veranstaltung eine klare Linie gefunden haben und nach dem Web 2.0 Hype einen eigenen Charakter gebildet haben. Hier könnten sich Nerds treffen um über neue technische Gadgets zu fachsimpeln oder sind es doch Blogger, die über neueste Trends schreiben oder doch Journalisten, die technikbegeistert sind oder vielleicht doch Entwickler oder Start-Ups oder Venture Capitalists?
Schon beim ersten Vortrag über die deutsche Blogosphäre entdeckte man den Mangel der Veranstaltung. Hier sitzen vier Blogger und unterhalten sich übers bloggen. Jeder hatte zwar was anderes zu sagen (Blogger hören ja selten zu, sondern reden lieber selbst) aber im Großen und Ganzen hatten alle die gleiche Aussage. Blogs sind eine neue Netzkultur, jeder kann schreiben aber keiner liest es. Es kam beim ganzen Vortrag keine Streitkultur auf, denn im Podium sass niemand, der hätte streiten können, denn die waren nicht da. Es gab keine Redner von den alten Medien oder von der Gema, es waren auch keine „schreibenden“ Journalisten dort oder Redakteure der Verlagshäuser. Niemand von Bertelsmann oder von der dpa oder Professoren oder Politiker! Nein dort sassen vier Blogger und haben festgestellt, dass sie alle die gleiche Software benutzen, aber was anderes schreiben. Das kann man nur vergleichen damit, vier Word-Nutzer auf eine Bühne zu stellen und zu fragen, warum sie schreiben. Da wird nix vernünftiges rauskommen. Daher war der Vortrag auch so interessant, wie die Tageskarte der Currywurstbude von nebenan.
Die fehlende Streitkultur setzte sich in fast allen Podiumsdiskussionen fort, die ich mir angeschaut hatte. Das abschreckendeste Beispiel war der Vortrag über das Microblogging „Grossstadt-Nomaden“, wo drei Microblogger sich NICHT über den Sinn und Zweck von Microblogging unterhalten haben, sondern sich einfach ausgetauscht haben, welche Tools sie wie und wann benutzen, z.B. um mal kurz im Kaufhaus in der Schlange an der Kasse zu twittern „Ich stehe hier und warte“. Leider wurde niemand eingeladen, der fragte, was für einen Sinn das macht, aber das dafür ein G1 oder ein iPhone mit Twitter bzw. identi.ca Gateway benötigt wird, hat bestimmt jeden interessiert.
Bei der Diskussion über die Kulturflatrate genau das gleiche. Es fehlte der Gegenpart, dafür waren aber wieder einmal die üblichen Verdächtigen der re:publica anwesend, die über alles reden können, nämlich Herr Beckedahl und Herr Häusler. Ich schätze beide wirklich sehr, aber das Auftreten war etwas inflationär. Vielleicht hätte gerade bei dieser Diskussion jemand von der Gema oder aus der Politik da sein können, ein anderer Musiker oder ein DRM-Experte. Zum Glück war Volker Grassmuck anwesend, der oft sehr gute Beiträge liefern konnte.
Ich will die Veranstaltung jetzt nicht schlecht reden, denn sie ist zu wichtig. Es ist aber schade, wenn man hier eine große Chance vergibt. Das Dilemma der re:publica ist wie das Dilemma der Blogger. Niemand weiss was sie sind/ist. Hier fehlt Streitkultur und es müssen wichtige Leute kommen, seien es Politiker, Meinungsgeber, Journalisten oder Geschäftsleute teilnehmen.So hat die re:publica keinen gesellschaftlichen Anspruch, aber vielleicht will sie den auch gar nicht haben.
„Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, ist einer von ihnen überflüssig.“ (Winston Churchill)
Moin Andreas,
vielen Dank für diesen schönen Rückblick. Leider ist mir dieses Jahr ein Termin dazwischen gekommen, so dass ich wie schon letztes Jahr nicht dabei sein konnte. Ich mag ja die re:publica, ganz einfach weil es eine solche Veranstaltung geben muss. Es ist halt sehr schwierig, eine »gelungene« Veranstaltung über die Bühne zu bringen und vielleicht hat man zu sehr auf bekannte Namen gesetzt. Und das ist eigentlich auch mein einziger Kritikpunkt: Früher war es noch mehr eine Mitmach-Konferenz, mit Programmplanung im Wiki und allem pipapo. Das hat sich mit der letztjährigen re:publica schon verändert und dieses Jahr war das Wiki tot.
-Tim
Pingback:Alle sechs Jahre wieder - Die re:publica - Online By Nature