Eine Frage, die sich jede Hochschule als Bildungsanbieter immer wieder stellen sollte: Wer bin ich? Was ist meine DNA? Haben meine Angestellten die Kompetenzen für die Anforderungen der Zukunft? Wo wird der Bildungsmarkt der Zukunft sein?
Eine mögliche Antwort könnte die Geschichte von Steven Cline sein, der in naher Zukunft an einer Hochschule der Zukunft Bioinformatik studieren wird.
Es ist Semesterstart in naher Zukunft an einer modernen Hochschule. Unser Beispiel-Student Steven Cline hat gerade Abitur gemacht und hat sich an fünf Hochschulen für den Studiengang Bioinformatik beworben. Das war allerdings nicht seine erste Idee, denn seine Leistungskurse auf dem Gymnasium waren Geschichte und Deutsch, doch der Bewerbungs-Bot der Studiengangsberatung hat nach einem Kurztest einen Unterschied zwischen Stevens Kompetenzprofil und seinen Interessen bemerkt und ihn nach dem Zugang zu ausgewählten Daten auf seinem Google-Profil gebeten.
Nach einer Analyse und einem personalisierten zweiten Langtest, hat der Bot dann Bioinformatik mit mehreren Brückenkursen vorgeschlagen, um die Einstiegsschwierigkeiten zu mindern. Steven hat dies zuerst verwundert, doch nach einem persönlichen Beratungsgespräch und einer anschließenden tiefen Analyse seiner Daten, hat sich Bioinformatik immer mehr als die richtige Option bestätigt. So konnte der Bot die Daten aus der Stadtbibliothek, seinen Sehgewohnheiten aus den Mediatheken, dem Such- und dem Standortverlauf mit seinen schulischem Portfolio abgleichen und kam zu diesem neuen erstaunlichem Ergebnis. Der zweite Langtest hat diese Einschätzung bestätigt und das Einzelgespräch hat den Entscheidungsprozess dann finalisiert.
Steven hat sich somit bei fünf Hochschulen beworben. Das war sehr einfach, denn er brauchte nur sein Abiturzeugnis fotografieren. Eine digitale Version gab es noch nicht, da Schulen in der Digitalisierung immer noch keine Standards haben und Zeugnisse im Landes- bzw. Kommunalsache sind. Mit der Smartphone App Studienplatzfinder wurde das Zeugnis dann digitalisiert und automatisch mit seinen Restdaten aus dem elektronischem Bürgerkonto zusammengeführt und an die fünf Zulassungsstellen übermittelt. Steven hat die Antworten der Hochschulen innerhalb von Minuten erhalten.
World of Bots
Die meisten der Hochschulen haben inzwischen mit künstlicher Intelligenz basierte Zulassungsverfahren mit einem Studienberater Bot. Diese Bots sind nicht nur ständig erreichbar, sie haben auch Schnittstellen zum Studierendenwerk und bieten damit Informationen zur BAföG-Förderung und vor allem zur Auslastung der Wohnheimplätze. Damit kann der Studieninteressierte sekundenschnell und umfassend per Smartphone 24/7 beraten werden. Als diese KI-Systeme eingeführt wurden, war die Skepsis in den Hochschulen und vor allem in den Zulassungsstellen reichlich vorhanden. Doch als die ersten Hochschulen die neuen Systeme eingeführt hatten, war der Erfolg bei den Studieninteressierten so hoch, dass vor allem Technische Hochschulen sehr schnell umstellen mussten. Gerade die zukünftigen MINT-Studierenden sind sehr technikaffin und sehen diese KI-Systeme als Qualitätsmerkmal der Hochschulen. Damit wurde ein Wettbewerbsvorteil um die besten Studierenden von den Early Adopters geschaffen, der sich unmittelbar in den Bewerbungszahlen niederschlug. Steven konnte sich sogar 10 Credit Points anrechnen lassen, da er ein Praktikum bei einer Medizinfirma absolviert und bei einem Hackathon seiner Gemeinde den zweiten Platz belegt hatte. Das hatte der Studienberatungs-Bot nach einer kurzen und von Steven autorisierten Internetrecherche selbst festgestellt. Allerdings hat dieser Vorgang länger gedauert, da die Begutachtung und Anerkennung von Fachexperten des Studiengangs erfolgen musste. Steven hat sich daraufhin für diese Hochschule entschieden, die anderen Hochschulen hatten bei ihrem Beratungs-Bot noch keine Google-Integration eingebaut und daher hatte Steven auch keine Zusatzleistungen angerechnet bekommen.
Studium@Home ist gleichberechtigt
In den ersten Semestern konnte Steven alle Leistungen ohne größere Probleme erbringen. Nach einem Sportunfall konnte er zwar vier Wochen keine Vorlesungen besuchen, doch dank der Livestreams und der digitalen Vorlesungen in den Mediatheken konnte er alles online bearbeiten. Im Lernraumsystem hatte er den Motivationsbot aktiviert, der alle Daten von Steven mit seinen Kommilitonen abgleicht und bei Lernrückständen Warnungen auf das Smartphone pusht.
In weiteren Eskalierungsstufen wird ein LernBot aktiviert oder es kommt sogar ein Lernroboter nach Hause, danach wird ein persönlicher Tutor angeschrieben und in der letzten Eskalationsstufe sogar der Professor und/oder die Eltern. Gerade der Lernroboter war Steven eine große Hilfe, da er zeitunabhängige Laborarbeiten ermöglichte. Da Steven nebenbei jobben musste, hatte er oft nur abends oder am Wochenende Zeit, die Labore zu bearbeiten. Dank der LernRoboter konnten die Labore auch zu diesen Zeiten geöffnet sein und alle Sicherheitsmaßnahmen, was gerade in den Bio-Kursen sehr wichtig ist, konnten überwacht und eingehalten werden.
Am Ende des Bachelorstudiums hatte Steven viele Probleme, alle Labore, Tests und Klausuren zu koordinieren, und seine Leistungen sind abgefallen. Steven hat nur noch unregelmäßig an den Vorlesungen teilgenommen und Labor-Abgaben wurden nicht eingehalten. Der sogenannte StressBot hatte dies erkannt und versucht, mit Hinweisen und Unterstützung Steven bei seinen Arbeiten zum Bachelor zu helfen. Solche Bots sind inzwischen ein Standard als Lernbegleiter, die die Studierenden dank Data Analysis, KI und Wearables Probleme frühzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten.
Im Master konnte Steven dann ein individuelles Studium zusammenstellen, mit einer Mischung aus Praxis, Auslandsaufenthalt, und Vertiefungen. Die Organisation des Auslandssemesters war dank der Plattform für internationale Studierendenmobilität (PIM) in der Organisation per Smartphone relativ einfach. Da die Leistungsübersicht inzwischen digital und standardisiert vorliegt und durch ein Kompetenzprofil ergänzt wurde, konnten schnell passende Kurse und eine ausländische Hochschule gefunden werden. Nach dem Auslandsaufenthalt und den bestandenen Prüfungen wurden die Credit Points anerkannt und automatisch in seine Smartphone-Wallet übertragen, die eine Synchronisierung zu allen wichtigen akademischen Netzwerken und Stellenbörsen ermöglichte.
Das Vertiefungsfach Bio Data Science konnte Steven leider nur bei einem amerikanischem Weiterbildungsanbieter finden, der den Kurs online als MOOC (Massive Open Online Course) angeboten hatte. Da der Kurs in der Datenbank von PIM als akkreditierte Studienleistung eingetragen war, war die Anerkennung formal kein Problem.
Bei der Prüfung sah dies jedoch anders aus. Die Abschlussleistung für Bio Data Science war eine amerikanische Klausur, die Steven zuhause schreiben konnte, jedoch in einer gesicherten und überwachten Räumlichkeit. Dafür hat sich Steven eine Virtual Box mit einer Prüfungsumgebung auf seinem PC installiert. Dazu musste er seinen Raum mit zwei 360 Grad Kameras ausrüsten und sowohl eine Eyetracking-Software freischalten als auch ein Wearable Device tragen. Damit soll angeblich jeder Schummelversuch erkannt werden. Die Technik kann dank einer Kooperation mit Amazon innerhalb von 24 Stunden ausgeliehen und installiert werden. Damit sind Klausuren zu jeder Zeit und quasi an jedem Ort der Welt möglich, man benötigt nur Internet.
OnDemand Services für flexibles Studium
Die Hochschule hat schon seit mehreren Jahren keine Klausurwochen mehr, sondern bietet fast alle Klausuren als OnDemand-Service an. So kann jeder Studierende seine Prüfung jederzeit beantragen und ablegen, wenn er für das Fach alles bearbeitet hat. So studieren die meisten Studierenden heute ein bis zwei Kurse über vier Wochen in Vollzeit und schreiben dann die Prüfung. Im Gegensatz zu früher, wo ca. sechs Fächer parallel belegt wurden und am Ende alle Prüfungen zeitgleich geschrieben wurden. Das System hat die Studienzeit dadurch extrem verkürzt, und die Durchfallquoten sind erheblich gesunken.
Der Nachteil ist, dass viele Studierende keine Lerngruppen finden konnten, was jedoch inzwischen auch der Vergangenheit angehört. Studierende können sich jetzt online zu virtuellen Lerngruppen vernetzen, die dann sogar gegen andere Lerngruppen in einer Challenge antreten können. Dabei können die Lerngruppen sogar international sein. Viele treffen sich dabei in 3D Welten, wo jeder Student inzwischen einen Avatar und eine digitale Lernumgebung mit Bibliothek und Mediensammlung besitzt.
Steven hat pünktlich nach sechs Semestern seine letzte Klausur geschrieben. Wie immer hat er sich im Prüfungsraum mit seinem Smartphone und seiner digitalen Identität authentifiziert. Die Klausuraufsicht hat seine Anwesenheit per NFC und biometrischer Erkennung ermittelt. Seine Teilnahme wurde damit sofort und transparent in die Blockchain für die Prüfungsverwaltung geschrieben, genauso wie die individuelle Klausur, das Datum, der Name des Prüfers und seine Abgabe. Später wurde die Note vom Professor in die gleiche Blockchain geschrieben und die Daten wurden in Stevens Wallet übermittelt. Falls Steven noch eine Einsichtnahme anfordert, würde dies genauso protokolliert werden, wie eine Änderung der Note.
Kurz nach seinem Studium hat Steven in einem StartUp nahe Dresden angefangen zu arbeiten. Die Firma hat schon zwei Semester vor Ende seines Studiums mit Steven Kontakt aufgenommen und ihm eine Vision für seine ersten fünf Berufsjahre gezeigt. Dank eines Vorvertrags brauchte Steven die letzten Semester nicht mehr arbeiten, sondern konnte sich auf seinen Abschluss konzentrieren. Das StartUp hat ihm sogar einen Senior-Buddy zur Verfügung gestellt, der sich zwei bis vier Stunden pro Woche Zeit genommen hatte, um den Übergang zwischen Studium und Beruf so einfach wie möglich zu gestalten. Zusätzlich wurde eine praxisnahe Bachelorarbeit als Berufseinstieg erarbeitet.
Was sich in diesem Beispiel nach Utopie, Wunsch oder Dystopie liest, ist in vielen Bereichen schon Realität oder kurz davor, Realität zu werden. Die vielen Referenzen zeigen, dass selbst im digitalen Entwicklungsland Deutschland, schon an vielen Zukunftsthemen gearbeitet wird. Man kann dabei nur erahnen, was gerade im Silicon Valley oder in China passiert. In vielen Forschungsbereichen wird Technologie schon zur Verbesserung der Bildung/Lehre erfolgreich eingesetzt, das Hauptgebiet ist jedoch im Prozessmanagement und in der Organisation zu finden. Dort findet die Digitalisierung, oft vom Anwender unbemerkt, jedoch höchst effizient und wirksam statt.
Wie viel Technologie die Hochschule der Zukunft braucht, lässt sich bisher nur erahnen. Oft wird nur der Hörsaal und die Lehre betrachtet. Die Digitalisierung der Hochschule betrifft jedoch das komplette Ökosystem Bildung und damit auch alle Angestellten und die gesamte Struktur der Organisation.
Die Zukunft ist schon da, nur nicht bei jedem
„Die Bank der Zukunft wird ein IT-Unternehmen sein.“ sagte ein ungenannter CEO einer großen Bank. Ähnlich stellen sich heute andere Global Player auf. So versucht VW gerade sich zu einem Softwarehaus zu transformieren, so wie es Tesla schon vorlebt. Auch Vodafone versteht sich nicht mehr als Netzanbieter, sondern als Technologieunternehmen, für Services wie KI, Internet of Things, Big Data und natürlich der Cloud. Plattform as a Service ist die Zukunft und man könnte die Geschichte mit Amazon, AirBnB, Booking.com und Uber weitererzählen. Das alles sind Unternehmen, die Märkte mit Technologie erobert haben, da andere (alte) Firmen hier den Anschluss verpasst haben. Die Frage, die sich nun stellt, ist das auf die Bildung übertragbar?
Ist Bildung resistent gegenüber Technologie?
Die großen Weiterbildungsanbieter sind heute digitale Giganten und verstehen sich mehr als Bildungs-Plattform (vielleicht sogar als IT-Unternehmen?) denn als Bildungsinstitut. So haben die großen US-Anbieter wie Udemy, Coursera, edX und Udacity zusammen schon über 100 Mio. Kunden und machen Millionenumsätze. So wie AirBnB keine Hotels, FlixBus keine Busse und Uber keine Taxen hat, so hat Udemy mit ca 50 Mio. Lernern fast keine Lehrer im Unternehmen. Die großen globalen Bildungsanbieter sind IT-Unternehmen, die hunderte Ingenieure für Soft- und Hardware, für Usability und Design, für Customer Journey, Payment und Gamification haben. Diese Unternehmen sind technologiegetriebene Internet StartUps mit dem Ziel zu wachsen. Im Gegensatz dazu haben Hochschulen, zumindest in Deutschland, kein großes Interesse an einem Wachstum und sehen sich auch nicht als Technologie-Unternehmen, sondern als staatliche Bildungsanbieter mit Forschungsauftrag, ganz im Sinne des Humboldtschen Bildungsideals. Das könnte ein großer Fehler sein, wobei das eine nicht das andere ausschliessen muss.
Technologie wird die Hochschule verändern
Die große Frage der Zukunft sollte sein, wie sich ein Bildungsanbieter selbst sieht. Welche Kompetenzen brauchen die Hochschulen der Zukunft? Neben den alten Forschungsfeldern der Erziehungswissenschaften bzw. der Pädagogik sind speziell in der Bildung viele neue Gebiete wie z.B. Künstliche Intelligenz, Big Data, Blockchain, Machine Learning etc. dazugekommen und natürlich dürfen die vielen technischen Devices, wie Smartphones, Tablets, Wearables, Roboter, Internet of Things und VR Brillen nicht fehlen. Jedes dieser „Werkzeuge“ alleine, kann ganze Wirtschaftszweige verändern und im maximalen Fall sogar auslöschen. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns viele Beispiele hierfür. Auf das Verschwinden der Postkutschen oder der Kokshändler folgten später die Schriftsetzer, die Weber und Holzfäller. Heute verschwinden ganze Unternehmen wie Kodak oder Quelle. Ganze Branchen müssen sich komplett wandeln, wie das KFZ-Gewerbe, die Energiebranche oder die Zeitungsverlage. Das sich auch die Bildung der Digitalisierung stellen und sich transformieren muss, erscheint offensichtlich.
Schaut man sich die Stellenausschreibungen der Global Education Player an, so spielen Didaktik und Pädagogik dort so gut wie keine Rolle mehr. Es sind vor allem Data Scientists, Machine Learning Specialists, AI Developer und Platform Architects gefragt, gefolgt von einem starken Marketing und Sales Team.
Den Pädagogen bleibt die Bedienung der Systeme übrig, die Gestaltung haben längst andere übernommen.
Das alles ist natürlich dem Umstand geschuldet, dass auch die Gesellschaft inzwischen von der Technologie getrieben ist. Seien es die Digitalfotos in der Cloud, die Online-Reisebüros oder das bargeldlose Bezahlen. Selbst das Auto ist dank Tesla ein fahrendes Riesentablet geworden. Die Werte in der Gesellschaft haben sich verändert, und Bildung muss sich diesen anpassen und sich dabei auch neu erfinden. Gerade die Corona-Krise zeigt hier, dass das Bildungswesen in allen Bereichen die Transformation verschlafen hat, und das umfassend. Es gibt weder vertiefende digitale Kompetenzen in der Lehrerausbildung, noch ein eine digitale Infrastruktur und erst recht keine digitale Strategie. Die Mehrheit missversteht den Datenschutz, versteckt sich hinter einer Diskussion über Qualitäts- bzw. Bildungsgerechtigkeit und überlässt so die Innovation den Einzelkämpfern. Der Föderalismus fördert hier nach dem Prinzip der Gießkanne und so entsteht ein Flickenteppich von unendlich vielen Einzellösungen, die alle zwar funktionieren, aber kein Gesamtkonzept und vor allem keine Bildungsgerechtigkeit erzeugen.
Abschließend sei gesagt, dass die Diskussion, ob die Technologie dem Menschen folgen soll oder umgekehrt, müßig ist. Am Ende dieser langen Diskussion werden jene erfolgreich sein, die die Technologie beherrschen und zwar sowohl auf der Anwender- als auch auf der Entwicklerseite.
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